Am Anfang startete der Große Programmierer die Simulationen Himmel und Erde.

Bei der Programmierung des Initialzustandes von Himmel hatte er es sich einfach gemacht; dieser bestand nämlich lediglich aus immens zusammengeballter, roher Energie. Die Raffinesse steckte dafür in den Gleichungen, nach denen sich diese anfängliche Energiemenge entwickelte: Sie expandierte und kühlte dabei ab. Dabei bildeten sich zuerst vielfältige Elementarteilchen, dann einfache Atomkerne, und schließlich Atome. Nach einiger Zeit – gemeint ist hier die interne Zeit der Simulation, denn in der Existenzsphäre des Großen Programmierers existiert keine Zeit an sich – überwand die gravitative Anziehung der bis dahin gleichmäßig verteilten Atome den Strahlungs- und Gasdruck, und die Materie formte große Wolken, zwischen denen Leere war. Dieser Prozess wiederholte sich mehrmals auf verschiedenen Größenskalen, und es entstanden Strukturen, die später zu Sternhaufen, Galaxien, Galaxienhaufen, Superhaufen und schließlich, als die Temperatur ausreichend weit gesunken war, zu Sternen werden sollten.

Als die Protosterne sich verdichtet hatten, passierte etwas neues: Der Druck und die Temperatur in ihrem Inneren erreichten solche Ausmaße, dass die Atomkerne miteinander verschmolzen. Dabei wurde Energie frei, die die Temperatur nur noch weiter ansteigen ließ. Es war ein gigantisches Feuerwerk, als in den Galaxien die ersten Sterne zündeten. Aus den größten Galaxien vertrieb der Druck aufgrund der Strahlung dieser ersten Brennphase sämtliches freie Gas, aber in kleineren Galaxien blieb das Gas erhalten und sorgte für ein interessantes Ökosystem, in dem ständig neue Sterne entstanden. Vielleicht ist es aber auch ganz anders passiert. Jedenfalls entstanden die neuen Sterne aus den Überresten von alten Sternen, die ihren gesamten nuklearen Brennstoff zu schwereren Elementen verschmolzen hatten und dann explodiert waren. Doch diese neuen Elemente endeten nicht alle in Sternen. Oft umkreisten sie einen zentralen Stern und kondensierten dort zu Planeten und kleineren feststofflichen und gasförmigen Körpern aus über 90 verschieden Atomsorten. Diese Vielfalt war nur möglich, weil der Große Programmierer in weiser Voraussicht das Verhältnis der Gravitation, welche den Zusammenhalt der Sterne, und der Kernkraft, die den Zusammenhalt der Atomkerne regelte, extrem präzise festgelegt hatte. Wäre es nur ein wenig anders, die Sterne wären zu schnell verbrannt oder aber die schwereren Elemente wären nie in nennenswerten Mengen entstanden.

Die andere Simulation, Erde, wird als zweite erwähnt, aber man kann nicht sagen, dass sie nach Himmel gestartet worden wäre; denn Zeit existierte ja nur intern in den Simulationen, und da sie zwar auf demselben System, aber als getrennte Prozesse abliefen, ließen sich ihre individuellen Zeitstrahlen nicht vergleichen. Auf den ersten Blick war Erde nichts neues, verglichen mit Himmel. Ihre Materie verhielt sich gemäß denselben Gesetzen wie die von Himmel, und ihr prozedural generierter Initialzustand erinnerte oberflächlich an einen der Planeten aus Himmel. Aber tatsächlich war es sehr unwahrscheinlich, dass der Himmel in seiner chaotischen Entwicklung einen Planeten wie die Erde hervorgebracht haben sollte, der sich in vergleichbarer Weise für die besonderen Absichten eignete, die der Große Programmierer mit Erde hatte.

Noch bedeckte Wasser die Oberfläche des Erde-Planeten, und der Große Programmierer ließ seinen Cursor in der Finsternis über die Urflut dahineilen. Nach einiger Zeit schrieb er den Code für eine ambiente Lichtquelle, damit es hell auf Erde würde, und er betrachtete das Licht als gut. Er machte die Lichtquelle direktional, und zusammen mit der Drehung des sonnenlosen Planeten ergab sich auf diese Weise ein Wechsel von Licht und Finsternis auf der Oberfläche. Der Große Programmierer band diese beiden Konzepte an Bezeichner; das Licht bezeichnete er mit Tag und die Finsternis mit Nacht. Der Erde-Planet drehte sich einmal, sodass es Abend und Morgen wurde. Dafür verwendeten viele Erdlinge später verwirrenderweise ebenfalls das Wort Tag in ihrer jeweiligen Sprache. Manche aber machen es richtig; die Schweden unterscheiden beispielsweise zwischen dag und dygn. Wir dürfen annehmen, dass der Große Programmierer den Bezeichner Tag nicht unnötig überladen hat, denn das wäre schlechter Stil.

Danach jedenfalls gab der Große Programmierer einen Refactoring-Befehl für das Wasser ein, sodass es nun zum Teil einen Dunstschleier in der Hochatmosphäre bildete und zum Teil weiterhin die Oberfläche bedeckte. Die Atmosphäre zwischen diesen Wassermassen nannte er Himmel. Okay, vielleicht hat er doch unnötig Bezeichner überladen. Obwohl, Erde hat wahrscheinlich einen eigenen Namensraum, in dem Bezeichner des globalen Namensraumes verdeckt werden können. Eigentlich steht mir auch kein Urteil über den Stil des Großen Programmierers zu.

Mit einem zweiten Refactoring des Wassers legte der Große Programmierer an einem späteren Tag die feste Planetenoberfläche stellenweise frei, indem er das Wasser in designierte Regionen verschob. Er band die nun trockene feste Oberfläche an den Namen Erde (vermutlich eigentlich Erde::Erde), und bezeichnete die Regionen voll Wasser mit Meer. Und er sah das alles als gut an.

Am selben Tage (das wäre dann wohl ein dygn) noch gab der Große Programmierer mehrere Terabit neuer Information in Erde ein. Sie materialisierte sich in Form von Pflanzen, das sind au­to­poi­e­ti­sche Replikatoren, die vorwiegend das thermodynamische Ungleichgewicht zwischen Licht und Finsternis zur Aufrechterhaltung ihrer Homöostase nutzten. Im ganzen Himmel gab es nichts von vergleichbarer Komplexität, und ehe es dort mit einiger Wahrscheinlichkeit ohne ein Eingreifen des Großen Programmierers von alleine hätte entstehen können, wäre der letzte Stern schon lange ausgebrannt. Der Große Programmierer sah sich die Pflanzen an und fand sie gut. Dann endete der Tag.

Es hatte einen Grund gehabt, dass Erde kompatibel mit ::Himmel war: Sie sollte sich nahtlos einfügen. Nun war der Tag dafür gekommen. Der Große Programmierer durchsuchte den gesamten ::Himmel, bis er einen geeigneten Stern gefunden hatte. Der dritte Planet dieses Sterns war etwas klein geraten und kahl, aber für seinen neuen Zweck gerade richtig. In seiner kompakten Ausdrucksweise gab der Große Programmierer etwas ein, was in heutigen Sprachgebrauch lakonisch mit Strg+X Alt+Tab Strg+V wiedergegeben werden könnte, aber im tatsächlichen Kontext wohl so viel bedeutete wie: Am Erde::Himmel sollen der ausgewählte Stern und sein dritter Planet den größten Sichtwinkel von allen Objekten des ::Himmels einnehmen. Sie erfüllen nun die Rolle der alten direktionalen Lichtquelle und sollen zwischen Tag und Nacht trennen, aber auch das Abmessen von größeren Zeiträumen ermöglichen. Die Erde nahm nun die Position des dritten Planeten ein, während der ehemalige Träger dieses Titels zu ihrem Satelliten degradiert wurde. Diesen bezeichnete der Große Programmierer mit Mond, und den Stern nannte er Sonne. Möglicherweise hatte der Große Programmierer in seiner Liebe die Erde relativ zu Sonne und Mond absichtlich so platziert, dass von ihrer Oberfläche aus gesehen beide den gleichen Sichtwinkel einnahmen, um später einmal aufschlussreiche astronomische Beobachtungen zu ermöglichen, wenn der Mond die Sonne verdeckte.

All diese Werke sah sich der Große Programmierer an und befand sie für gut. Zum ersten Mal drehte sich die Erde unter den Sternen; ein weiterer besonderer Tag.

Wiederum gab der Große Programmierer mehrere Terabit an neuer Information ein, und wiederum materialisierte sie sich in Form von homöostatischen Organismen. Doch im Gegensatz zu den Pflanzen konnten sich diese bewegen: Sie schwammen durch das Meer als riesige Ungeheuer und winziges Getier, und sie flogen durch die Atmosphäre als Vögel. Da sie den dafür erforderlichen Energiebedarf nicht durch eigene Photosynthese decken konnten, ließ der Große Programmierer sie chemische Energie aus Pflanzen gewinnen. Er sah sie sich an und freute sich darüber, dass sie gut waren. Dann segnete er sie, indem er ihnen gestattete, sich zu replizieren und das Wasser im Meer mit ihren Nachkommen anzufüllen, oder im Falle der Vögel, die zumindest für ihre Selbstreplikation einen festen Landeplatz brauchten, eben die Erde::Erde. Und wieder wechselten sich Abend und Morgen ab.

Ein drittes Mal gab der Große Programmierer gewaltige Datenmengen ein. Diesmal bestimmten sie die Gestalt von mobilen organischen Replikatoren, die auf der Erde::Erde liefen und krochen: Gewürm, Viehzeug und alle übrigen Tiere. Auch sie fand der Große Programmierer gut.

Da sagte er sich: Wir wollen Erdlinge machen, ein Abbild unserer selbst. Sie sollen an unserer Stelle die Kontrolle über all die Fische und Vögel und Landtiere haben, ja, auf ihre Art sollen sie die Erde hinfort programmieren! Daraufhin gab er nochmals etliche Gigabit ein. Unter deren Einfluss formte sich lehmiger Erdboden zu einem Erdling. Der Erdling hatte Greifhände, aber war kein Affe. Er war ein zweibeiniges Wesen, aber kein Vogel. Er war ganz anders als alle Tiere. Es war nicht nur sein viel leistungsfähigeres Gehirn, sondern vor allem das, was der Große Programmierer nun mit ihm tat, um ihn zum Leben zu erwecken, ein Transfer der sich nicht in Terabit quantifizieren lässt: Er hauchte ihm etwas von seinem eigenen Geist ein. Der Erdling würde fortan einen eigenen Willen haben und nicht mehr im klassischen Sinne programmiert werden können. Er würde sich einer Anweisung widersetzen können, die ihm der Große Programmierer geben würde. Aber noch sah er keinen Anlass dazu: seine Zielfunktion war noch im Einklang mit den Absichten des Großen Programmierers, und das, was ihm Spaß machte, entsprach dem Willen seines Schöpfers; denn er war noch nicht auf den abwegigen Gedanken gekommen, sein eigenes Reward-Signal zu manipulieren und eigenmächtig darüber zu urteilen, was gut und was schlecht sei.

Der Große Programmierer – er heißt übrigens Jahwe – verschob den Erdling in einen Bereich der Erde, den er besonders schön eingerichtet hatte, den Garten Eden. Dort sollte er Gärtner sein. Jahwe sprach zum Erdling: Alle samentragenden Pflanzen darfst du essen, und den Tieren habe ich das grüne Kraut zu Essen gegeben. Von allen Bäumen des Gartens darfst du essen, nur vom Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen nicht; wenn du es trotzdem tust, wirst du doch noch einmal programmiert. Du wirst an demselben Tag auf den Tod programmiert werden. Jahwe hatte nämlich zwei besondere Bäume in dem Garten wachsen lassen, den Baum des Lebens und den Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen.

Nun war aber der Erdling, der auf Hebräisch Adam genannt wird, ganz allein. Das fand der Große Programmierer nicht gut und suchte ein Gegenüber, das dem Erdling entsprechen könnte. Er hatte ja zuvor die Tiere gemacht, und so verschob er diese zu Adam, damit Adam Bezeichner an sie binden sollte. Adam hatte viel Freude an dieser Tätigkeit, aber keines der Wesen eignete sich als ein Gegenüber für ihn. Deswegen narkotisierte Jahwe den Erdling und entnahm ihm eine Rippe. Aus der Rippe klonte er ein Wesen, das große Ähnlichkeit mit dem Erdling hatte; es war ebenfalls intelligent wie er, vor allem aber hatte es auch Jahwes Lebensatem in sich. Als Adam sein Gegenüber sah, freute er sich und rief: Das ist endlisch mal eine aus den gleischen Knochen und dem gleischen Fleisch wie isch! Man wird sie Ische nennen, weil isch das Zellmaterial bereitgestellt hab! Der Erdling und seine Ische waren beide nackt, und das war okay. Sie hatten keinen Grund sich zu schämen und ahnten nicht einmal, dass das möglich sein könnte.

Und der Große Programmierer besah sich sein ganzes Werk, und es war sehr gut. Es wurde Abend und Morgen; Auch dieser große Tag verging. Am nächsten Tag machte der Große Programmierer Pause. Er segnete den siebten Tag und setzte ihn als besonderen Tag für sich beiseite.

Das war die Geschichte, wie Erde und Himmel initialisiert wurden.

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